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Geistliche Hausapotheke

11.09.2022

Wer bin ich?

Erbarmender Christus. Foto. Adelheit Weigl-Gosse, in: Pfarrbriefservice

„Ich bin ein Sünder, den der Herr angeschaut hat.“ So beantwortet Papst Franziskus einmal in einem frühen Interview seines Pontifikates die Frage, wer er, Jorge Mario Bergoglio, sei. Für viele ein erstaunlicher Satz aus dem Munde eines Papstes.

Und manch eine(r) mag diese Aussage als störend empfinden – auch und gerade vor dem Hintergrund des eigenen Lebens. Wie kann ich mich so schonungslos als Sünder bezeichnen? Ist das nicht eine Selbsterniedrigung oder Abwertung der eigenen Person? Gehört solch ein Eingeständnis nicht zu einer Sklavenmoral, die es laut dem Philosophen Friedrich Nietzsche zu überwinden gilt?

Dass es beim Eingeständnis, ein Sünder zu sein, nicht um krankhafte Selbsterniedrigung geht, sondern um Heilung und Befreiung, verdeutlicht der heilige Paulus in seinem Brief an Timotheus (1 Tim 1, 12-17). Schonungslos blickt der Völkerapostel auf sein früheres Leben als „Lästerer, Verfolger und Frevler“ und zögert nicht, sich als ersten unter den Sündern zu bezeichnen.

Aber er bleibt dabei nicht stehen, denn dies ist nur die eine Seite der Wahrheit seines Lebens. Die andere spricht davon, dass er als Sünder Erbarmen gefunden hat; dass Jesus Christus ihn, den Sünder, in Liebe angeblickt, gerufen und in seinen Dienst genommen hat.

Gottes Erbarmen kann Großes in meinem Leben bewirken. Das setzt aber voraus, dass ich ehrlich auf mich selbst blicke und mir eingestehe, dass ich auf seine Barmherzigkeit angewiesen bin. Echte Heilung und Befreiung kann es nur dort geben, wo ich mir selbst nichts vormache, sondern der Wahrheit meines Lebens, zu der auch Sünde und Schuld gehört, ins Auge blicke. Diese Umkehr, in der ich Jesus als Arzt meine Gebrechlichkeiten offen hinhalte, ist der erste Schritt zur Heilung.

Bevor ich mich frage, wer ich eigentlich sein möchte, gilt es daher immer wieder ehrlich zu fragen: Wer bin ich eigentlich?

Ihr Pfarrer Clemens Mennicken