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Geistliche Hausapotheke

06.03.2022

Versuchungen bestehen

Juan de Flandes: Versuchung Christi, um 1500

Wovon der Mensch so lebt? Von Luft und Liebe – reicht das? Von Brot und Rosen – klingt schön. Von der Hoffnung, die sich nicht kleinkriegen lässt und hoffentlich auch nicht zuletzt sterben soll – gute Idee. Aber für alle, die noch tiefere Wurzeln suchen: Leben aus Gottes Wort – das ist ja schon ganz nahe: dir und mir ans Herz und in den Mund gelegt. Proviant für den Weg durch Wüstenzeiten.

Jesus geht in die Wüste. Er weiß, es braucht die Wüste, um den Blick frei zu bekommen, um zu spüren, was Gott von ihm will. So will er sich seiner Sendung klarer werden. Dabei berichtet uns der Evangelist von drei Grundgefährdungen, denen Jesus ausgesetzt wurde - und die auch uns bei genauerer Betrachtung nicht fremd sind.

Die erste Versuchung heißt: Konsum! "Erfülle deine Bedürfnisse! Lass es dir gut gehen! Du kannst es dir doch leisten!" Und Jesus antwortet, dass der Mensch nicht nur von dem leben kann, was er sich leisten kann. Nicht alles, was ich haben kann, tut mir letztlich auch gut - und das gilt nicht nur fürs Essen.

Die zweite Versuchung heißt: Macht! "Schau, alles soll dir unterworfen sein!" Garantiert Macht die totale Freiheit? Wer glaubt, unabhängig und niemandem untertan zu sein, der hat vermutlich all die Götzen ausgeblendet, denen er sich versklavt hat. Deshalb lautet Jesu Antwort: Nur Gott darf diese Macht haben, denn seine Macht ist menschenfreundlich. Sie lässt uns Menschen Mensch und vor allem frei sein.

Und die dritte Versuchung heißt: Prestige! "Tu es, spring herab! Du wirst der Größte sein!" Doch Jesus lehnt ab. Ihm geht es darum, den Willen Gottes zu tun und nicht darum, Spektakuläres zu vollbringen oder gar die göttliche Macht zu missbrauchen. Wie oft meinen wir, allzu genau zu wissen, was Gottes Wille ist und verwechseln ihn nur mit unserem Eigenen. In der Antwort Jesu aber bleibt Gott Gott und der Mensch kann Mensch bleiben.

Auffallend für mich ist, dass sich alle Antworten Jesu in den Bitten des Vaterunsers wieder finden lassen. Die Bitte: "Unser tägliches Brot gib uns heute", auf die Versuchung des Konsums. "Dein Reich komme", auf die Versuchung der Macht und "Dein Wille geschehe" auf die Versuchung des Prestiges. So aber werden diese Vater-unser-Bitten zu einem Gebet, damit echtes Menschsein gelingen kann. Vielleicht lernen wir, das ‘Vater unser’ in diesen Tagen wieder mit ganz anderen Augen zu beten!

Pfarrer i.R. Ewald Scherr