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Geistliche Hausapotheke

19.11.2023

Wach und nüchtern

Bild: Peter Weidenmann, in: Pfarrbriefservice.de

"Während die Menschen sagen: 'Friede und Sicherheit!', kommt plötzlich Verderben über sie wie die Wehen über eine schwangere Frau und es gibt kein Entrinnen." - Kommt uns das nicht bekannt vor, was der Apostel Paulus vor fast 2000 Jahren an die Gemeinde in Thessalonich schrieb? Der russische Überfall auf die Ukraine am 4. Februar 2022 war für die meisten Menschen ein böses Erwachen aus dem "Schlaf der Sicherheit". Andere dagegen hatten seit 2014 aufmerksam die Entwicklungen verfolgt und die Vorzeichen eines Krieges gesehen. Ich erinnere mich an Berichte von Journalist/innen aus Polen und den baltischen Staaten. Man hatte ihnen nicht geglaubt - oder nicht glauben wollen...

Paulus empfahl den Christ/innen für den Umgang mit unerwarteten Ereignissen: "Wir wollen nicht schlafen wie die anderen, sondern wach und nüchtern sein." Das sind zwei Tugenden, die mir imponieren. Wache und nüchterne Menschen tun uns in jedem Bereich unseres Lebens gut: in der Politik, in der Gesellschaft, in den Medien, in der Kirche. Vor allem brauchen wir sie in Krisen. Denn sie widerstehen der Panik und lassen sich nicht treiben. Sie sammeln Argumente, überlegen Alternativen, beraten sich mit Fachleuten, wägen ab. Die Entscheidungen, die sie fällen, müssen belastbar sein und von vielen Menschen mitgetragen werden können.

Ich glaube, dass Papst Franziskus zu dieser Kategorie wacher und nüchterner Menschen gehört. Er erfährt Druck von Reform-Befürwortern und gleichermaßen von Reformgegnern. Da wird Panik erzeugt, mit Kirchenspaltung gedroht und mit dem Untergang des Katholizismus. - Was für ein Mut, weder den einen noch den anderen schnell nachzugeben, sondern eine Weltsynode einzuberufen, die auf Jahre hin ausgelegt ist, die Beteiligte aus allen Ländern und Lagern mit in die Verantwortung nimmt. Im synodalen Miteinander - der nüchternen Betrachtung der Gegenwart, der wachen Aufmerksamkeit für das Wirken des Gottesgeistes - kann Neues, kann Zukunft entstehen.

Das wünsche ich mir für die Weltkirche, für unser Bistum, für unseren Pfarrverband ebenso wie für unsere Welt, für Europa, für Deutschland, für unsere Stadt, für unseren Stadtteil. Und ich will das Meine beitragen, wach und nüchtern - so gut ich kann.

Ihre Gemeindereferentin Irene Keil